In Lippstadt „bewegt“ sich richtig etwas.

Der Bürger habe dieses anscheinend nicht wahrgenommen, mischt er sich doch kritisch (= undankbar) und störend in die Kommunalpolitik ein, die ihn aber eigentlich nichts angeht:

„Wenn der Bürger mit den Entscheidungen seiner gewählten Ratsvertreter nicht einverstanden ist, muss er sich  fragen lassen, warum er ihnen das Vertrauen ausgesprochen hat. Durch die Stimmabgabe bin ich als Wähler mitverantwortlich auch für Entscheidungen, die ich nicht billige“.

Warum werden Erfolge nicht gesehen?, fragt die CDU erstaunt.

Unter einem „Erfolg“ versteht man das Erreichen eines selbst gesetzten Zieles. Ist das Ziel erreicht, so ist der Vorgang in der Regel abgeschlossen.

Die von den Herren Hammer und Bresser und fleißig aufgezählten Bauprojekte (Unterführung, Entwicklung innerstädtischer Gewerbeflächen an der Langen Strasse, Hochschule Hamm/Lippstadt) sind bereits umgesetzt, bzw. befinden sich in der Umsetzungsphase. Diese Ziele sind somit erreicht (= Erfolg). Der Bürger sieht diese Erfolge und freut sich. Oder auch nicht. Die Sache ist für ihn abgeschlossen.

Die Entwicklung unserer kommunalen Bäderlandschaft, vorbereitend begleitet durch eine paritätisch besetzte Bäderkommission, ist ein neues, eigenständiges Ziel, welches mit den obigen Zielen insoweit nichts zu Tun hat, d.h. dass Erfolge aus dem einen Projekt nicht aus dem Erfolg des jeweils anderen ableitbar sind.

Bedeutet die Äußerung politischer Kritik zugleich diese Art von Undankbarkeit, wie die CDU den Lippstädterinnen und Lippstädtern vorwirft?

Dankbarkeit im engeren Sinne setzt begrifflich voraus, dass der Empfänger etwas Freiwilliges, gewissermaßen eine Wohltat erhält, das er nicht einfordern konnte, weil er keinen Anspruch darauf hatte,

Die aufgezählten Erfolge sind nicht mit Exklusivitätsanspruch auf dem Konto der CDU zu verbuchen, sondern auf dem Konto vieler mitwirkender Bürgerinnen und Bürger, einschließlich des gesamten Rates und der Verwaltung. Erst recht aber, handelt es sich nicht um eine freiwillige Wohltat. Vielmehr hat der Bürger seine Vertreter in den Rat der Stadt Lippstadt entsandt, damit diese eine Verpflichtung erfüllen, nämlich stets die bestmögliche Entscheidung im Rat der Stadt für alle Bürgerinnen und Bürger zu treffen und zwar soll der Bürgerwille ins Rathaus getragen und sachgerecht umgesetzt werden. Es handelt sich folglich um eine originäre Pflicht, nicht um eine freiwillige Wohltat und erst recht keine bloße Geste der Generosität.

Bedeutet es einen Widerspruch, sich mit Entscheidungen der gewählten Ratsherren nicht abzufinden? Was folgt aus der „Mitverantwortlichkeit“ für Entscheidungen der Ratsherren?

Gegen politische Entscheidungen zu demonstrieren um gestaltend mitzuwirken ist ein politisches Grundrecht. Art. 8 GG gewährleistet die Versammlungsfreiheit und Demonstrationsfreiheit, die wiederum im Versammlungsrecht ausgestaltet wird. Die Gemeindeordnung NRW sieht in § 26 sogar ausdrücklich vor, dass der Bürger auch gegen den Willen der gewählten Ratsmitglieder entscheiden kann.

Mitgestalten und Lernen ist ein originärer Ausfluss und gleichzeitig Voraussetzung für unser Demokratieverständnis. Dieses Verständnis gewährleistet eine friedensfähige Gesellschaft, deren Schicksal davon abhängt, in welchem Maße die Menschen dafür Sorge tragen, dass das Gemeinwesen nicht beschädigt wird und sie bereit sind, politische Verantwortung zu übernehmen. Wer von seinen staatsbürgerlichen Rechten (z.B. Bürgerbegehren) Gebrauch machen möchte, verhält sich also niemals widersprüchlich, sondern demokratisch.

Es ist nicht zu tadeln, dass sich die Lippstädterinnen und Lippstädter so sehr politisch engagieren, sondern vielmehr Ausdruck von derjenigen Reife, die wir heute vielfach vermissen und die unabdingbare Voraussetzung für ein gedeihliches Zusammenleben ist, denn der Mensch ist im Grunde ein politisches Wesen, wie es schon Aristoteles als zoon politikon definiert. Nur Götter oder Tiere können außerhalb der polis leben, also ohne Politik. In der Vorstellungswelt des polis-Griechen rangiert, so schreibt es der Soziologe Oskar Negt, daher der idiotés, der Privatmann, der Ungebildete, der unpolitische Mensch, der keinerlei Bezüge zum Gemeinwesen herstellt und an den staatlichen Angelegenheiten unbeteiligt ist, auf der gesellschaftlichen Skala ganz unten. Idiotés hat den Doppelsinn von Privatleben und Torheit.

Wie beruhigend zu wissen, dass die Lippstädterinnen und Lippstädter sich so sehr politisch engagieren und dem Aufruf der Herren Hammer und Bresser, es einem Idiotés gleich zu tun, nicht folgen! Bitte bleiben Sie „undankbar“, unbequem und kritisch.

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